im Gespräch mit Kurator Dr. phil . Martin H. Schmidt (Bad Homburg v.d.H., im Juni 2013)
weiterlesenVon Nadja Mayer, Frankfurt
Ein Bild, so eine viel gebrauchte Redensart, sagt mehr als tausend Worte. Eine Aussage, der umso eifriger zugestimmt wird, je inflationärer wir Bilder aus Digitalkameras und Smartphones über die Netzwerke des Internets verbreiten. Gegenfrage: Was sagt das Bild genau? und in welcher Sprache spricht es zu uns? In Farbe? In Form? In Gestalt? In Vordergrund und Hintergrund? Schärfe und Unschärfe? Perspektive? Wir brauchen das Wort, wenn wir etwas zur Sprache bringen wollen.
Sprechen wir also über die Bilder von Thomas Finke. Während der erste flüchtige Blick einzelne, großformatige asiatische Schriftzeichen zu erkennen glaubt, erschließen sich der sorgfältigen Betrachtung auf Leinwand gebannte Kraftfelder der Konzentration – reduziert auf ein Maximum von schwarzer Farbe, organischer Form und neutraler Fläche. Dabei finden wir unseren ersten Eindruck in gewisser Weise bestätigt: Wir entdecken vertraute Zeichen und beginnen zu lesen.
Der Rausch der Konzentration
Am Anfang ist bei Thomas Finke das Wort. Es wird mit schwarzer Tusche und einer nach vielen Versuchen mit anderem Gerät eigens präparierten Feder aufs Papier gebracht. Seine Motive entstehen zunächst auf kleinen weißen Blättern. Erst wenn er die perfekte Form gefunden hat, kümmert er sich um die Vergrößerung. Bisweilen sind hunderte von Zeichnungen nötig, bis Wort und Bild, Gestus und Gestalt eine zwingende Einheit eingegangen sind. Man muss sich diese Zeit als Meditation vorstellen. Durch das ständige Wiederholen der immer gleichen und doch in vielen Details und im Duktus anderen Form versetzt er sich selbst in eine rauschhafte Konzentration. Thomas Finke zeichnet sich leer, bis alles Leben, Fühlen und Denken als Konzentrat seinen Weg auf das Papier gefunden hat – bis er selbst ganz Medium seiner vielfältigen Eindrücke, Gedanken und Empfindungen ist und sie ihm die Hand führen. Dieser Vorgang erinnert an die Techniken fernöstlicher Zen-Meister. Und auch, wenn Thomas Finke sich nicht explizit auf asiatische Kultur oder gar den Buddhismus bezieht, gibt es doch einige Fährten und Verweise, die eine solche Lesart zumindest rechtfertigen. Das Verharren, die Konzentration, die Wiederholung und der mit ihr verbundene Wille zur Meisterschaft sind hier zu nennen.
Thomas Finkes Affinität zu Wort und Schrift als Ausgangspunkt seiner Arbeiten mag zunächst begründet sein in seiner Ausbildung zum Kartografen, wo das Erfassen von Flächen und Umsetzen in Symbole zum Handwerk gehört. Sein späterer Studienschwerpunkt der Kalligrafie hat möglicherweise eine noch prägendere Spur hinterlassen. Doch seine über Jahre entwickelte Technik transformiert Schrift und Zeichen in Malerei, ins Bildhafte. Die Abstraktion der Gedanken und Gefühle ist wichtiger als die Lesbarkeit der Begriffe. Seine Arbeiten sind Form gewordene Reflektion. Denken, malen, sehen und verstehen werden eins.
Die Poesie des großen Formates
Hat Thomas Finke die für ihn perfekte Form gefunden, vergrößert er sie mittels Scan auf bis zu zwei Meter große Leinwände. Er habe diesen Weg gewählt, erklärt er, weil es ihm bei der Entstehung um ein Höchstmaß an Unmittelbarkeit gehe. Ein größeres Format würde auch nach größeren Werkzeugen, sprich: Pinseln verlangen, der Gestus wäre – unter Verlust von Intensität – ein anderer. Konzentration, so scheint es, ist dem Punkt stets näher als der Fläche.
Beim Prozess des Vergrößerns erhält die aufs Papier gebrachte Form erst ihre wahre Gestalt. Jetzt zeigt sich, was im kleinen Format beinahe unsichtbar war. Schlieren, Streifen, Ausdünnungen der Farbe und Tropfen treten aus dem Beiläufigen heraus und verleihen der organischen Form etwas Unfertiges und bei aller Kraft auch etwas Fragiles. Es gibt im Japanischen ein ästhetisches Konzept, Wabi-Sabi, das mit dem Zen-Buddhismus eng verbundenen ist. Danach liegt die Schönheit der Dinge in ihrer Schlichtheit, aber vor allem auch in ihrer Unvollkommenheit: die rissige Oberfläche eines Tongefäßes, ein knorriger Ast, eine rostige Teekanne. Es sind Objekte, denen immer auch ein Verweis auf die Vergänglichkeit innewohnt. "Beschränke alles auf das Wesentliche, aber entferne nicht die Poesie. Halte die Dinge sauber und unbelastet, aber lasse sie nicht steril werden", fasst es der amerikanische Designer und Autor Leonard Koren in seinem Buch über Wabi-Sabi zusammen. Thomas Finkes Arbeiten zeugen von genau dieser Poesie. Die Unmittelbarkeit der Zeichnung verbindet sich bei ihm mit der Wucht des großen Formats zu einer physisch erlebbaren Intensität, der eine stille Melancholie zu eigen ist: nichts bleibt, nichts ist abgeschlossen und nichts ist perfekt.
Der Blick nach innen
Was also sehen wir? Zunächst energiegeladene, bisweilen explosive Formen, flüchtige schwarze Spuren, sich zur Fläche verdichtende Linien, konzentrierte Gesten eines evolutionären Entstehungs-prozesses, impulsiv und meditativ zugleich. Und während wir die abstrakten schwarzen Formen mit den Augen abtasten und begreifen wollen, entdecken wir auch das Wort: "be" steht dort, "god", "sex", "joy" oder auch "lebe", "mitte", "finde!". Die Begriffe begegnen uns als Fragmente eines Lebens und Erlebens. Herausgelöst aus jeglichem Kontext werden sie zu Symbolen menschlicher Existenz – bereit, den Dialog mit dem Betrachter aufzunehmen und mit eigener Erfahrung aufgeladen zu werden. Der auf diese Weise mit Sinn geschärfte Blick ist nun offen für Details: Figuren tauchen auf, auch Tiere. Wege verlaufen im Nichts, Linien verweisen auf ein Anderswo, ein bedrohlicher Horizont hier, eine friedliche Landschaft mit Bäumen dort. Sehen wir all dies tatsächlich? Tanzt da wirklich eine Frau zu ungehörten Klängen? Ist die dynamisch aus dem Format weisende Spur tatsächlich Zeugnis einer Flucht? Gerät hier wirklich ein Seiltänzer aus dem Gleichgewicht? Wer sich auf die Arbeiten von Thomas Finke einlässt, blickt unversehens auch nach innen: auf die eigenen Erfahrungen, Ängste, Wünsche und Gefühle. Wer dies zulässt, wird erkennen – am Ende auch sich selbst.
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„Die Leinwand wurde gebracht, die Pinsel und die Farbe, und innerhalb von Sekunden zeichnete er (der Künstler, d.V.) den Bambus. Und man sagt, dass der König (der Auftraggeber, d.V.) vor Freude weinte. Er hatte nie ein solches Gemälde gesehen. Es war so lebendig. Es war kein gewöhnliches Gemälde. Es war nicht aus dem Außen. Es war vom Bambus, als ob ein Bambus auf der Leinwand gewachsen wäre, nicht gemalt.“
Thomas Finke, erzählen Sie uns doch bitte etwas über ihre Motivation, Gemälde herzustellen.
Ein wesentlicher Aspekt meiner Arbeiten ist meine Wahrnehmung der Naturform. Mir ging es immer darum, die Natur nicht zu kopieren, im Sinne von „Abmalen“, sondern sie wahrzu-nehmen in ihrer grandiosen Komplexität und Formensprache. Meiner Auffassung nach nährt sie unsere Seele. Bei der Betrachtung von einem Quadratzentimeter Moos genau so wie der Betrachtung eines Bergpanoramas.
Sehen Sie sich also als Vermittler zwischen der Natur und dem Menschen?
Ja. Mit meinen Bildern möchte ich dem Betrachter diese Essenz der Natur wohltuend, kraft- und energiegebend präsentieren. Begriffe unserer Lebenswelt aufladen, von dieser Essenz durchdringen lassen und als in sich komplexe „Piktogramme der Natur“ dem Menschen zur Seite stellen.
Höre ich hier heraus, dass Sie auch sich selbst einen inneren Wunsch mit ihren Bildern erfüllen?
Ja. Es ist mein persönlicher Wunsch zu versuchen, das Leben zu greifen, erfassen, verstehen und festzuhalten.
Um das zu erlangen, was müssen Sie dabei als Künstler tun? Noch bevor Sie den Pinsel in die Tusche eintunken und Ihre Visionen auf Papier bringen?
Dazu muss ich das Leben „fragmentieren“, stellvertretende Begriffe aus unserer Lebenswelt aufgreifen und besetzen. Schwingungen unserer Existenz zu Worten und Formen verdichten.
Höre ich hier eine tief empfundene Bewunderung gegenüber der Natur und ihren mannig- faltigen Ausformungen heraus?
Absolut.
An dieser Stelle möchte ich die Zen-Geschichte weitererzählen, mit deren Schlussabsatz ich unser Interview eingeleitet habe:
„Einst wurde ein Zen-Meister vom König gefragt – denn der Meister war ein großer Maler – dass der König einen Bambus gemalt haben wollte.
Der Meister sagte: „Das braucht Zeit.“ „Wie viel?“ sagte der König. Der Meister sagte: „Das ist schwer zu sagen, aber zumindest zwei, drei Jahre.“ Der König sagte: „Bist du verrückt, oder was? Du bist einer der berühmtesten Maler. Ich dachte, du könntest es einfach jetzt sofort zeichnen.“ Er sagte: „Das ist nicht das Problem. Einen Bambus zu zeichnen ist nicht das Pro-blem. Aber zuerst muss ich ein Bambus sein. Wie weiß ich sonst, was ein Bambus ist. Ich will den Bambus von innen heraus kennen. Also werde ich gehen und in einem Bambushain leben müssen. Niemand weiß, wie lange das dauern wird. Bevor ich den Bambus nicht von innen her kenne, kann ich nicht malen. So habe ich es mein Leben lang gemacht. Ich male nur das, dessen tiefstes Inneres ich kenne.“ Der König sagte: „OK, ich werde warten.“
Jeder Meister war zunächst Schüler und Eleve, deshalb lassen Sie uns doch etwas hören von dem Menschen Thomas Finke. Nennen Sie uns doch bitte einige Stationen ihres Lebensweges.
Ich begann meinen Berufsweg mit einer Ausbildung zum Kartografen, gefolgt von einem sechssemestrigen Studium der Kunst und Kunstpädagogik an der Universität Frankfurt/Main unter anderem bei Prof. Kiefer, dem Vater von Anselm Kiefer, der beeindruckende Bilder seines Sohnes vorstellte.
Danke für den Hinweis, der berühmte Sohn stellt bei vielen Kunstbegeisterten den Vater, den Kunstpädagogen Prof. Albert Kiefer, der vor wenigen Monaten seinen 95. Geburtstag feiern konnte, in seinen Schatten.
Im Anschluss folgte ein weiteres Studium zum Diplom-Designer an der Fachhochschule in Wiesbaden. Mein wichtigster Lehrer war hier der bekannte Typograph Prof. Werner Schneider.
Prof. Schneider wurde 1935 geboren und ist Träger vieler internationaler Auszeichnungen. Ist nicht der folgende Ausspruch von ihm: „Einfangen, was die Natur vorgibt“?
Ja, er ist ein Freund von organischer Formensprache.
Wenn ich nun an Vater und Sohn Kiefer denke, dann lassen sich auch Seh- und Wirk-Ähn-lichkeiten zwischen Zieh-Vater und Schüler erkennen. Auch darin, dass Prof. Schneider eini-ge Schriften für Linotype entwickelte. Ich denke hier an die „Satero“ und die „Sunetta Magic“ Und auch Sie, Herr Finke, haben ja am Anfang Ihrer Karriere als Grafikdesigner eine eigene und sehr erfolgreiche Schrift entwickelt, die „Bergell“. Das ist doch richtig, oder?
Ja, die „Typeface Bergell“. Auf meiner Homepage unter „Typo“ zu sehen. Namensgebend für die Schrift war Alberto Giacometti, der aus dem Bergell stammt und den ich als Künstler sehr spannend finde. Formgebend die grandiose Berglandschaft des Vinschgaus, meiner „gefühlten“ zweiten Heimat.
Auch wenn es hier und heute nicht das Thema ist, dennoch möchte ich anfügen, dass mich ihre Schrift „Bergell“ beeindruckt hat und mir auch bei der Vorbereitung unseres Gespräches bereits Eindrücke vermittelte, die mich bei der Betrachtung der einzelnen Buchstaben in die Richtung deren organischer Formensprache führten und nochmals vergegenwärtigten ließen, dass es in der Natur, so gut wie keinen geraden Strich im Sinne von Horizontale oder
Vertikale gibt. Dies unterstützte mich dabei, Ihre Bilder mit einem, ich nenne es einmal, mit einem „geschulten Auge“ anzuschauen. Aber zurück zu Ihrem Lebenslauf. Nach dem Studium und bis heute, und das sind nun be-reits mehr als 20 Jahre, sind Sie als Kommunikations-Designer tätig und Geschäftsführer in der Kreation.
Ja, wobei ich von mir als „Gestalter“ spreche, weniger als „Kommunikations-Designer“. Danke. An dieser Stelle möchte ich die Zen-Geschichte weiter zitieren:
„Ein Jahr verging. Er sandte einige Leute, um zu sehen was los ist, ob der Mann lebt oder tot ist. Sie kamen und sie sagten: „Der Mann lebt, aber wir glauben nicht, dass er noch ein Mensch ist.
Er ist ein Bambus. Er schwang mit dem Bambus im Wind. Wir gingen an ihm vorbei, er hat nichts bemerkt. Wir sagten: Hallo! Er hat nicht gehört. Wir wollten ihn fragen, wir schauten in seine Augen - sie waren so leer, dass wir uns fürchteten. Entweder ist er verrückt geworden oder irgend etwas ist passiert. Und er kann alles mögliche machen! So sind wir entflohen. Er könnte uns töten! Wer weiß? Er könnte uns anspringen. Er ist nicht mehr derselbe Mann.“ Der König ging selbst, um zu sehen. Und der Meister schwang im Wind, in der
Sonne. Und der König fragte: „Mein Herr, was ist mit meinem Bild?“ Er antwortete nicht.
Nach drei Jahren erschien er am Hofe. Und er sagte: „Jetzt bringt die Leinwand und die Farbe, ich bin soweit. Und warum habt ihr mich immer wieder gestört? Wenn ihr mich nicht gestört hättet, wäre ich etwas früher gekommen. Diese Narren deines Hofes haben mir Sachen erzählt, sie sagten: „Hallo!“ ... Sagst du Hallo zu einem Bambus? Sie haben die ganze Sache gestört. Ich habe Mona-te gebraucht, um wieder so weit zu kommen, ein Bambus zu sein und zu vergessen, dass ich ein Mensch bin. Und dann kamst du und sagtest: „Mein Herr!“ …Spricht man so einen Bambus an? Wann wirst du malen? ... Hat irgendjemand gehört, dass ein Bambus malt? Du bist ein Narr, du bist umgeben von Narren. Ich sagte dir, dass ich komme, wenn ich soweit bin!“
Ihre Bilder überschreiben Sie mit „The Look of Nature“. Wie kam es dazu?
Der Name entstand aus Bewunderung gegenüber der Formensprache der Natur und deren Auswirkungen auf das menschliche Wohlbefinden. Die von mir gemalten Begriffe sollen unser aktuelles Menschsein durch die Naturform wieder erden.
Sie sagen „gemalt“, da muss ich nachfassen und Sie fragen, wie denn eigentlich Ihre Bilder entstehen?
Das Material ist Tusche auf Papier. Mit einer selbst hergestellten Tuschefeder, die nach vie-len gescheiterten Versuchen mit unterschiedlichsten Malutensilien schließlich im „Selbstbau“ eine Form erhielt, die – in meinen Augen – einen organisch adäquaten Strich produziert. Das ist das, was letztendlich in meinen Bildern zu sehen ist.
In der von mir zitierten Zen-Geschichte „wirft“ ja der Meister gleichsam seine Bambuszeich-nung innerhalb von Sekunden auf das Papier, nachdem er sich drei Jahre lang zum Bambus hat werden lassen. Ist dies auch Ihr Weg zum Bild?
Meine Bilder sind malerische Piktogramme für die direkte Rezeption, die eine unmittelbare Wirkung beim Betrachter hervorrufen und zwar durch ihre maximale Konzentration in ihrer radikalen Reduktion. Ich beginne mit einem Begriff, den ich für mich aus dem Weltgeschehen herauskristallisiere, über den ich „meditiere“, ihn aufschreibe und der dann in einem Entstehungsprozess durch viele Wie-derholungen geht. Wie in einer kleinen „Evolution“ nimmt er im Laufe des Malprozesses Gestalt an. Die Wiederholung führt zur Vollkommenheit, zu einer in meiner Wahrnehmung befreiten Form und Komposi-tion in der Formensprache der Natur.
Ich darf nochmals nachfragen. Wie lange dauert es, bis ein Bild aus Ihrer Feder entstanden ist?
Es dauert meist mehrere Stunden, manchmal auch Ansätze über mehrere Tage, die hundertfache Wiederholungen beinhalten, bis die Idealform, das von mir akzeptierte Bild, fertig ist. Das geschieht immer im kleinen Ausgangsformat. Diese kleinen Kompositionen der Natur beinhalten den ganzen Kosmos. Mit meinen Bildern möchte ich Kraftfelder schaffen, die jeder für sich persönlich nutzen kann. Kraftgebende, sozusagen modern interpretierte alpenländische Herrgottswinkel für unsere aktuellen Wohn- und Lebensräume.
Ich danke für das Gespräch!
Bad Homburg v.d.H., im Juni 2013
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